Titelbild: Ordnung im Chaos

Das Lebensbild zeigt das Leben der Tiere und Menschen in der Siedlung von Horgen. Im Hintergrund sind die Felder zu sehen. Illustration: bunterhund.ch.



Eine Geschichte vor unserer Zeit
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Ich bücke mich, um die stacheligen Disteln und Stechpalmen auszureissen. Das Jäten der Felder wird Jahr für Jahr beschwerlicher. Aber viel schlimmer noch: Es wächst weniger Getreide auf den Äckern. Auch die Tiere finden nur noch spärlich zu fressen. Die jüngeren Kinder müssen mit den Ziegen und Schafen immer weiter durch die Gegend streifen, um genügend Futter zu finden. Ich höre Lärm vom Dorf. Ich richte mich auf, strecke das Kreuz durch, wische mir den Schweiss von der Stirn. Ein Blick zum Dorf zeigt dass sie versuchen, die widerspenstigen Schweine in den Wald zu treiben. Ich schaue weiter um mich. Auch der Wald hat sich verändert, viele Bäume sind verkrüppelt, gutes Bauholz ist rar geworden und selbst trockenes Feuerholz liegt kaum noch herum. Schon sind einige Dorfbewohner gegangen und haben eine neue Siedlung gegründet. Ich war schon einmal dort, um Honig von den Bienen zu bringen, die meine Mutter in einem hohlen Baumstamm hält. Auch der neue Siedlungsplatz liegt nahe am See. Mit Beilen und Feuer wurden freie Flächen für die ersten Felder gerodet. Mit dem Holz der gefällten Bäume haben sie ein Haus gebaut. Zwei kleine Gärten sind bereits bepflanzt. Wenn die nächsten Häuser stehen, verlassen weitere Familien das alte Dorf. In zwei, drei Jahren werden alle umgezogen sein. Die jetzige Heimat wird dann nur noch ab und zu von ein paar Hirten, Fischern und Jägern aufgesucht. Es wird mein erster Umzug, ich kann ihn kaum erwarten, habe aber auch Angst. Mutter erzählt, dass sie zum dritten Mal umzieht und diesmal in die Gegend ihrer Kindheit zurückkehrt.

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Ordnung im Chaos

Bäume erzählen



Die Pfahlbauer*innen fertigten ihre Häuser und viele Alltagsgegenstände aus Holz. Das machten alle Menschen der Steinzeit und der Bronzezeit, doch nur in den feuchten Böden der Seeufer und Moore, selten im Eis oder in Wüsten, konnte Holz die Jahrtausende überdauern. Die Funde aus den Pfahlbauten zeigen, was andernorts fehlt. Neben Gebrauchsgegenständen finden sich unzählige Pfähle, die noch im Boden stecken. Es sind Fundamentreste von Häusern und Zäunen. An den meisten Pfahlbaufundstellen gibt es Pfähle von verschiedenen Siedlungen, die im Lauf der Zeit am gleichen Ort errichtet wurden.

 

Wie findet man heraus, welche Pfähle zu welcher Siedlung gehörten und wie alt die verschiedenen Siedlungen sind? Den Schlüssel zu diesen Fragen liefert die Dendrochronologie – die Datierung mittels Jahrringmuster von Hölzern. Die Pfähle der Pfahlbauten eignen sich ausgezeichnet für die Datierung der Siedlungen. Mithilfe der Jahrringe lässt sich der Zeitpunkt, an dem der Baum gefällt wurde, aufs Jahr genau bestimmen. Denn solange der Baum wächst, bildet er jedes Jahr einen neuen Ring. Kartiert man alle Pfähle, die zur selben Zeit geschlagen wurden, werden Baustrukturen erkennbar.


Das Prinzip der Dendrochronologie funktioniert, weil die Bäume einer Region ähnliche Jahrringmuster bilden. In den letzten 100 Jahren wurden überlappende Jahrringmuster in Hölzern gesucht. Heute haben wir in Mitteleuropa eine lückenlose Jahrringreihe, die bis zu 10 000 Jahre zurückreicht.

Illustration: Helvetia Archaeologica 45/48, 1981.

Mehr Informationen über Dendrochronologie

Pfahlbauweg

Die Dendrochronologie macht sich zunutze, dass Bäume abhängig vom Wetter und Ereignissen wie Schädlingsbefall unterschiedlich gut wachsen. Je nach Jahr bildet ein Baum einen schmaleren oder einen breiteren Jahrring. Von der Keimung bis zum Fälljahr entsteht so eine charakteristische Jahrringabfolge. Gleichzeitig in einer Region wachsende Bäume sind ähnlichen Einflüssen ausgesetzt, die Jahrringmuster sind dann auch ähnlich. Unterschiedlich alte Bäume mit einer überschneidenden Wachstumsspanne fügen sich so zu Reihen und bilden eine lange Jahrringserie. In Mitteleuropa konnte durch jahrzehntelange Arbeit eine Jahrringreihe aufgebaut werden, die 10 000 Jahre zurückreicht. Die ausgewerteten Hölzer stammen von alten Häusern, Kirchen, Pfahlbauten, Gletschermoränen und Flussauen.

 

Für die dendrochronologische Untersuchung wird von jedem Pfahl eine Probe genommen. Unter dem Mikroskop werden die Jahrringe exakt vermessen und gezählt. Die Abfolge von schmalen und breiten Jahrringen ist so charakteristisch, dass man den Zeitpunkt, an dem der Baum gefällt wurde, aufs Jahr genau bestimmen kann.

Bei der Juragewässerkorrektion im Berner Seeland wurde der Seespiegel des Neuenburger-, Murten- und Bielersees um mehrere Meter abgesenkt. Dabei kamen grossflächige Pfahlfelder zum Vorschein. Die trocken gefallenen Pfahlbaufundstellen wurden so entdeckt, aber leider auch grösstenteils zerstört. Heute sind davon nur noch einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Funde erhalten.

Bild: Helvetia archaeologica 12, 1981.

Das Foto zeigt die Reste einer Pfahlbausiedlung. Wie andernorts, sind die organischen Fundschichten bereits ausgewaschen. Die herausragenden Pfahlköpfe sind alarmierende Zeichen für die Bedrohung der Fundstelle durch Erosion.

Foto: Amt für Städtebau Zürich, Unterwasserarchäologie und Labor für Dendroarchäologie.

Beprobung von Pfählen unter Wasser ist wegen der grösseren Trägheit im Wasser und der benötigten schweren Ausrüstung eine kräftezehrende Arbeit.

Foto: Amt für Städtebau Zürich, Unterwasserarchäologie und Labor für Dendroarchäologie.

Im Pfahlplan der Grossgrabung Zürich-Parkhaus Opéra wurden zuerst Pfähle derselben Holzart, Grösse und Form kartiert, denn oft bestanden Bauten aus einer Holzart. Mit etwas Glück verraten auffällige regelmässige Anordnungen erste Baustrukturen. Jetzt kommt die Dendrochronologie für die Suche nach gleichzeitig geschlagenen Bäumen zum Einsatz. Aus dem Pfahlchaos entsteht das Abbild von acht Dörfern aus fünf Jahrhunderten.

Illustration: Amt für Städtebau Zürich, Unterwasserarchäologie und Labor für Dendroarchäologie.

Schwingbesen aus Tannenholz, Pfäffikon-Burg, 3000 v. Chr. Das Objekt könnte auch von einer neuzeitlichen Alp stammen, wo solche Geräte noch bis vor Kurzem in Gebrauch waren.

Foto: Kantonsarchäologie Zürich, M. Bachmann. 

Euro-Signet? Funktion und Bedeutung dieses 5000-jährigen Holzobjekts aus der Fundstelle Zürich-Breitingerstrasse/Rentenanstalt sind unklar.

Foto: Kantonsarchäologie, M. Bachmann. 

Eine 5200-jährige Schachtel aus Baumrinde mit Lindenbast vernäht, gefunden in Meilen-Feldmeilen, Vorderfeld. Rechts davon eine moderne Kopie.

Foto: Kantonsarchäologie Zürich, M. Bachmann. 

Der Holzpfahl war in der Pfahlbauzeit in einem Haus verbaut. Die leicht gewellte Struktur kommt von der Präparierung mit der Rasierklinge im Labor, damit die Ringe gut gemessen werden können.

Foto: Amt für Städtebau Zürich, Unterwasserarchäologie und Labor für Dendroarchäologie.

Diese Holzscheibe stammt von einer Eiche, nur auf einer Seite ist die Rinde erhalten. Gut sichtbar sind die Jahrringe, die vermessen werden, um das Holz zu datieren. Schon in der Pfahlbauzeit war Eichenholz begehrtes Baumaterial.

Foto: Amt für Städtebau Zürich, Unterwasserarchäologie und Labor für Dendroarchäologie.

Greifensee-Böschen: Ein Dorf entsteht



Das spätbronzezeitliche Dorf Greifensee-Böschen war nur kurz besiedelt. Mithilfe der Dendrochronologie kann die Bautätigkeit detailgetreu nachvollzogen werden. Die Häuser wurden alle zwischen 1051 und 1042 v. Chr. gebaut.

Illustrationen: Kantonsarchäologie Zürich.



1051 v. Chr.
Dorfgründung mit den beiden ersten Häusern

1048 v. Chr.
Erster Ausbau, wahrscheinlich mit fünf Häusern

1047 v. Chr.
Errichtung des Zauns und der Palisade

1046 v. Chr.
Seeseitige Ausbauphase mit vier Häusern

1045 v. Chr.
Ausbauphase mit vielen Kleinbauten, teilweise über Zaun und Palisade hinausreichend

1042 v. Chr.
Abschluss der Bautätigkeit mit Errichtung des letzten Hauses

Heute hier, morgen da



Waren die Häuser marode oder die Ressourcen im Umfeld übernutzt, zogen die Menschen weiter und bauten an einem anderen Ort ihre Siedlung wieder auf. Diese Bewegungen können dank der Dendrochronologie an manchen Orten ziemlich genau nachvollzogen werden.  Am Zürichseebecken ist der Forschungsstand aufgrund des Baubooms und der dadurch ausgelösten vielen Ausgrabungen besser als am Pfäffikersee. Hier wurde die These entwickelt, dass es zu vielen kleinen Standortveränderungen kam.

 

Alle paar hundert Jahre wechselte die Dorfgemeinschaft die Region. Es war aufwändig, den geschlossenen Wald in eine produktive Kulturlandschaft aus Feldern, Hecken und Hainen umzuwandeln. Solange die Äcker fruchtbar waren, Wald und Laubhaine das Vieh ernährten, blieben die Menschen in der Region. Erst wenn die Felder vor Unkraut nicht mehr zu retten waren, sich die Dornenbüsche ausbreiteten und der Wald übernutzt und zugrunde gewirtschaftet war, haben die Menschen den Ort verlassen und ein neues Dorf gebaut.



Die Ufersiedlungen im Zürcher Seebecken verlagerten sich in kurzen Abständen: in Gelb jeweils die Vorgängersiedlung, von der aus der Umzug zur roten, neuen Siedlung geschah. Bei der Fundstelle mitten im See handelt es sich um Dörfer, die auf der Untiefe des Grossen Hafners standen. 

Illustration: Jungsteinzeitliche Ufersiedlungen im Zürcher Seefeld, Bd. 3, S.260.

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Findest du die Pärchen? Bei diesem Memory gehören immer ein Gegenstand aus der Zeit der Pfahlbauer*innen und ein neuer Gegenstand zusammen.



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